Kleider machen Leute – Schnittformen, Stoffe und Nahtverl?ufe nehmen Einfluss auf unsere k?rperliche Flexibilit?t. Wie sich Menschen früher im ?ffentlichen Raum bewegt haben, erforschen seit einiger Zeit Wissenschaftlerinnen der Universit?t Paderborn anhand von historischer Kleidung. Bei der Kooperation mit dem Historischen Museum Frankfurt am Main werden unter Leitung von Prof. Dr. Kerstin Kraft vom Institut für Kunst, Musik und Textil Kleidungsstücke aus der Zeit von 1850 bis 1930 buchst?blich unter die Lupe genommen.
?Die Verbindung von Kleidung, Bewegung und K?rper ist kulturell gepr?gt und wird st?ndig mit neuen Konnotationen versehen. Bislang hat die Forschung deren tats?chlichen Zusammenhang allerdings kaum beachtet“, stellt Kraft fest. Um das zu ?ndern, sollen Schnitte und Stoffe Aufschluss über Rollen- und Selbstverst?ndnis ihrer Tr?ger geben. ?Wir sind dabei vor allem an Aspekten von Bewegung und Mobilit?t interessiert. Einige Kleiderstile erlauben bestimmte Bewegungsabl?ufe, andere wiederum nicht“, wei? die Expertin.
?Der Rock machte die Frau zu einem einbeinigen Wesen“
Ein Beispiel nennt Projektmitarbeiterin Dr. Regina L?sel: ?Früher waren es hochgeschlossene Kleider aus schwerem Stoff, die deutlich zeigen, dass Bewegung auf offener Stra?e für Frauen Ende des 19. Jahrhunderts keine Selbstverst?ndlichkeit war. Sp?ter zeugten knielange R?cke von dem Gegenteil.“ Auch das historische Schuhwerk offenbart laut der Textilwissenschaftlerin Erstaunliches: ?Bis in die 1860er Jahre waren der rechte und linke Schuh noch identisch. Das hat sich deutlich auf die Art und Weise ausgewirkt, wie Menschen gegangen sind.“
Bei dem Projekt, das von der VolkswagenStiftung seit August 2015 gef?rdert wird, werden Kleidungsstücke systematisch und gesamtheitlich erforscht. Dazu erkl?rt L?sel: ?Durch die genaue Analyse von Nahtverl?ufen, Schnittformen und textiler Materialit?t k?nnen menschliche Bewegungen nachgebildet werden. Das daraus gewonnene Wissen erg?nzen wir u. a. durch Skizzen und Fotos. So k?nnen wir das Objekt vollst?ndig erfassen und kontextualisieren“. Gleichzeitig r?umt sie ein: ?Die Darstellung der Bewegungen ist allerdings immer nur eine Rekonstruktion.“
Bewegungen seien in erster Linie sozial motiviert und wurden früher u. a. durch sogenannte Benimmliteratur vorgeschrieben: ?Sitz gerade, schlenkere nicht mit den Armen, behalte die Beine bei Dir. Für Frauen und M?dchen gab es klare Regeln.“ Laut der Expertin wurde der weibliche K?rper als besonders schützenswert empfunden: ?Daher war man der Meinung, dass er eine Stütze br?uchte und so gab es das Korsett. M?nner wurden dahingegen als stark und dynamisch wahrgenommen. 360直播吧 mussten sich als ?Handelnde‘ frei bewegen und hatten deshalb Hosen an. Der Rock, durch den sie kaum Bewegungsfreiheit hatten, machte die Frauen zu einbeinigen Wesen." Diese ?Einbeinigkeit‘ habe sich u. a. in speziellen Schnittformen wie beispielsweise dem asymmetrischen Reitrock für das Reiten im Damensitz niedergeschlagen, erg?nzt Kraft.
Kleidung im Wandel
Auch der Zeitraum, aus dem die Kleidungsstücke stammen, spielt eine wichtige Rolle: Mit Deutschem Bund, Kaiserreich und Weimarer Republik sind unterschiedliche Staatsformen vertreten, die insbesondere auch die Hochphase der Industrialisierung abbilden. Deren gesellschaftliche Ordnungen wirkten sich auf damalige Kleidungsstile aus. L?sel erkl?rt: ?Mit der Republikgründung 1918 wurde zum Beispiel das Frauenwahlrecht eingeführt und in der Weimarer Republik gab es die erste Welle von Frauen, die anfingen, in den bisherigen M?nnerdom?nen Fabrik und Büro zu arbeiten – Industriearbeiterinnen und Sekret?rinnen, für die es notwendig war, sich frei bewegen zu k?nnen. Die Kleidung ver?nderte sich entsprechend. Es gab zum Beispiel neue Kombinationsm?glichkeiten aus Bluse und Rock und auch die Hose setzte sich zunehmend durch“.
Neben den textilen Zeugnissen ziehen die Wissenschaftlerinnen auch kulturgeschichtliche Literatur zurate: ?Dokumente, Benimmliteratur, physiologische Schriften aus dem medizinischen Bereich, erste Filme oder auch Karikaturen liefern wichtige Hinweise und Belege für unsere Annahmen und erg?nzen sie.“
Zum Projektabschluss im M?rz 2020 werden die Ergebnisse im Rahmen einer Ausstellung in Frankfurt, die sowohl historische Kleidungsstücke als auch Skizzen, Fotos und digitale Rekonstruktionen beinhaltet, pr?sentiert.
Nina Reckendorf, Stabsstelle Presse und Kommunikation