Wissenschaftler der Universit?t Paderborn entwickeln neues Trainingsverfahren, mit dem Prothesen besser gesteuert werden k?nnen
Wer durch einen Unfall oder krankheitsbedingt Gliedma?en verliert, sieht sich mit einer Reihe von Einschr?nkungen konfrontiert. Orthop?dische Hilfsmittel erm?glichen es, die Lebensqualit?t trotz Schicksalsschlag weitestgehend aufrechtzuerhalten: Durch den Einsatz von sogenannten Exoprothesen, die z. B. Arm, Bein oder Hand ersetzen, k?nnen Bewegungen durchgeführt werden, die für die Bew?ltigung des Alltags notwendig sind. Oftmals funktioniert die Steuerung der Prothesen allerdings nicht intuitiv, was für die Betroffenen teilweise mit erheblichen Anstrengungen verbunden ist. An der Universit?t Paderborn wurde daher im Rahmen eines Forschungsprojekts untersucht, wie das zentrale Nervensystem bei der Aneignung der Steuerungsprozesse das komplexe Zusammenspiel von Muskeln und Nerven lenkt. Die Ergebnisse, die aus der Zusammenarbeit der Trainings- und Neurowissenschaften mit der Angewandten Informatik hervorgegangen sind, sind in die Entwicklung eines Neurofeedbacksystems geflossen, mit dessen Hilfe Patienten bei der Aneignung der neuen Prozesse unterstützt werden sollen.
Bewegungsabl?ufe sind nicht intuitiv
?Nach einer Amputation sind viele Menschen nicht dazu in der Lage, die für die Steuerung der verschiedenen Prothesenbewegungen notwendigen Muskelkontraktionen durchzuführen, sprich die Muskeln entsprechend anzuspannen“, sagt Prof. Dr. Jochen Baumeister vom Bereich Trainings- und Neurowissenschaften des Paderborner Departments für Sport und Gesundheit. Der Wissenschaftler erkl?rt weiter: ?Bei Vorg?ngen wie dem ?ffnen und Schlie?en einer Prothese sind Muskeln aktiv, die schon vor der Amputation die gleichen Bewegungen gesteuert haben. Bei aktuellen Handprothesen sind das zum Beispiel zwei antagonistisch arbeitende Muskeln im Amputationsstumpf, die nach wie vor differenziert bewegt werden k?nnen. Soll die Prothese nun aber gedreht werden, müssen Patienten dafür beide Muskeln gleichzeitig anspannen, was eine Ko-Kontraktion und einen Moduswechsel bewirkt. Dieser Ablauf ist unnatürlich und die Steuerung der Prothese nicht intuitiv. Noch dazu erfordert die Aneignung langes Training“.
Um das zu ?ndern, untersuchen die Wissenschaftler die Vorg?nge, die bei der Steuerung durch das zentrale Nervensystem – also zentralnerv?s – eine Rolle spielen. ?M?gliche Gründe dafür, dass manche Patienten diese Steuerungsprozesse und Bewegungsmuster besser lernen als andere, k?nnen in der individuellen Aufmerksamkeitsfokussierung liegen. M?glich w?ren aber auch sensorische Verarbeitungsprobleme der Bewegungssteuerung im Zentralnervensystem“, sagt Dr. Dorothee Neuhaus, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Arbeitsgruppe Trainings- und Neurowissenschaft. Die Beantwortung der Frage soll als Grundlage für ein verbessertes Training dienen: ?Sobald die für die zentralnerv?se Steuerung wichtigen Vorg?nge aufgedeckt worden sind, k?nnen Trainingsprozesse individualisiert und verbessert werden“, so Neuhaus.
Mit EMG- und EEG-Signalen zu besseren Ergebnissen
Verantwortlich für die Prothesensteuerung sind sogenannte EMG-Signale. Das sind Reize, die mittels der neurologischen Diagnostikmethode Elektromyografie (EMG) gemessen werden k?nnen und die die grunds?tzliche Muskelaktivit?t steuern: ?Die Signale entstehen bei allen Muskelbewegungen. 360直播吧 enthalten reproduzierbare und wiederkehrende Informationen über die durchgeführte Bewegung. Diese Daten k?nnen als Muster in einer ?bungsphase trainiert und im Ergebnis als natürliche Bewegung wiedererkannt werden. Somit werden die Abl?ufe intuitiv und die Prothesensteuerung enorm vereinfacht“, erkl?rt Baumeister.
Im Rahmen des Projekts wurden Menschen mit und ohne Amputationen darin trainiert, bestimmte Handbewegungen – sowohl natürlich als auch ungewohnt – zu erlernen und zu reproduzieren. Dabei wurden EMG- und EEG-Signale (ein Elektroenzephalogramm misst die elektrische Gehirnaktivit?t) aufgezeichnet. Dazu Baumeister: ?Im Verlauf konnten wir die Gruppen in gute und schlechte ?Lerner‘ aufteilen und so Erkenntnisse über zentralnerv?se Aktivierungen gewinnen. Die EEG-Signale haben Aufschlüsse über die beteiligten Hirnregionen geliefert, w?hrend EMG-Daten Hinweise zu muskul?ren Aktivit?ten gaben.“
Virtuelle Unterstützung beim Training
Damit Menschen mit Prothesen die Muster bestm?glich verinnerlichen, haben die Experten Prototypen für ein Neurofeedbacksystem entwickelt, das in das Training integriert wird – und zwar visuell. Laut Neuhaus werden dabei allt?gliche Bewegungsabl?ufe virtuell trainiert, indem die Probanden mit ihrer Stumpfmuskulatur differenzierbare EMG-Signale produzieren, mit denen sie eine virtuelle 3D-Prothese steuern. ?Der Aneignungsprozess wird auf diese Weise nicht nur verbessert, sondern auch in seiner Dauer stark verkürzt. Mit der besseren Nutzung der Prothesen steigt dann letztendlich auch die Lebensqualit?t wieder an“, lautet das Fazit von Baumeister und Neuhaus.
Nina Reckendorf, Stabsstelle Presse und Kommunikation