Mit Ro­botik die Pflege der Zukun­ft gestal­ten

 |  Forschung

Im Projekt ?Orient“ erforschen Wissenschaftler*innen die Bedürfnisse von Fachkr?ften, Patient*innen und Angeh?rigen

Der demografische Wandel ist ein Dauerthema in Europa: Gesellschaften altern und der Bedarf nach professioneller ambulanter und station?rer Pflege steigt. Gleichzeitig stagniert die Zahl qualifizierter Fachkr?fte und viele von ihnen arbeiten schon heute am Limit. Hinzu kommen gro?e regionale Unterschiede bei der Versorgung. K?nnen Roboter helfen? Was muss vor ihrem Einsatz berücksichtigt werden? Und wie lassen sich Fachkr?fte, Pflegebedürftige und Angeh?rige einbinden? Fragen, mit denen sich das Projekt ?Orient“ der Universit?t Paderborn besch?ftigt.

?Wir untersuchen, welche Informationen den Betroffenen zur Verfügung stehen müssen, bevor Roboter in der Pflege eingesetzt werden k?nnen“, erkl?rt Prof. Dr. Kirsten Thommes. Die Wirtschaftswissenschaftlerin leitet das am Projekt beteiligte Paderborner Team. ?Das Besondere an ?Orient“ ist, dass wir die betroffenen Gruppen untersuchen und befragen – angefangen bei den Pflegebedürftigen und Angeh?rigen über die Pflegefachkr?fte und -organisationen bis hin zu den Robotikherstellern, Versicherungen sowie politischen Entscheidungstr?gern. Ziel des Projekts ist es, deren Informations- und Kommunikationsbedarfe herauszuarbeiten. Es geht speziell darum, wie viel jede Gruppe wissen und verstehen muss, um die neue Technologie so einsetzen zu k?nnen, dass sie die Pflegesituation auch wirklich verbessert.“

Internationales Kooperationsprojekt mit Universit?ten in Schweden und Finnland

?Orient“ ist international und interdisziplin?r aufgebaut: Neben der Universit?t Paderborn sind die schwedische M?lardalen University und die finnische Lappeenranta University of Technology beteiligt. Die Paderborner Wissenschaftler*innen untersuchen, wie Pflegekraft und Roboter interagieren und erforschen die Einstellungen und Bedürfnisse der Fachkr?fte, die mit Robotern zusammenarbeiten sollen. In Schweden erfassen Pflegewissenschaftler*innen, welche Informationen Patienten und Angeh?rige ben?tigen, um eine Entscheidung über den Einsatz von Robotern treffen zu k?nnen. Die finnischen Projektpartner sind Innovationsforscher*innen. 360直播吧 wollen herausfinden, wie die Betroffenen besser in den Entwicklungsprozess von Pflegerobotern einbezogen werden k?nnen.

Das Projekt wird im Rahmen der EU-Initiative ?More years, better lives“ gef?rdert. Hier haben sich die EU-Mitgliedsstaaten zusammengeschlossen, um dr?ngende gesellschaftliche Fragen zu erforschen. Konkret f?rdert vor Ort der jeweilige nationale F?rdergeber, im Falle Paderborns das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). ?Orient“ wird mit insgesamt 750.000 Euro unterstützt.

Roboter k?nnen eine ganze Reihe von Aufgaben übernehmen   

In der Pflege k?nnen Roboter vielseitig eingesetzt werden, berichtet Kirsten Thommes: ?Die Einsatzm?glichkeiten von Robotern, die heute bereits in Pilotprojekten im Einsatz sind, lassen sich grob in Haushaltshilfen, medizinische Hilfen und soziale Roboter unterteilen. 360直播吧 k?nnen beispielsweise Haushaltsroutinet?tigkeiten wie Putzen und Kochen übernehmen. Daneben gibt es Projekte, in denen Roboter bei k?rperlich schweren Arbeiten wie dem Heben oder Duschen von Pflegebedürftigen unterstützen. Die medizinischen Einsatzm?glichkeiten gehen aber noch weiter: Roboter k?nnen die korrekte Einnahme von Medikamenten und die Vitalwerte überwachen und Pflegekr?fte enorm entlasten, indem sie bei der Dokumentation der Pflege helfen. Au?erdem lassen sich Roboter zur Unterhaltung einsetzen. Die Einsatzgebiete reichen dabei von haustier?hnlichen Robotern für Demenzkranke bis hin zu aktivierenden Gespr?chspartnern, die beispielsweise den Erhalt der physischen und kognitiven Leistungsf?higkeit der Pflegebedürftigen unterstützen.“ 

Pflegefachkr?fte sollen nicht ersetzt, sondern entlastet werden – zum Wohle der Patient*innen

Oft sehen die Roboter gar nicht so aus, wie wir sie uns im Allgemeinen vorstellen: humanoid, dem Menschen ?hnlich. ?Es gibt keine echten ?Pflegeroboter“ im Sinne von Robotern, die genau wie eine menschliche Pflegekraft arbeiten, sondern eine Vielzahl von robotisierten Assistenzsystemen“, erkl?rt Thommes. ?Physisch erfahrbare humanoide Roboter wie Pepper oder Zora, die aussehen, wie man sich gemeinhin einen Roboter vorstellt, werden bislang erst in Pilotprojekten untersucht“, so die Wissenschaftlerin.

Eine Pflegefachkraft ersetzen sollen die Roboter nicht – im Gegenteil: ?In einem optimalen Zukunftsszenario würde die Pflegekraft schlicht durch robotisierte Assistenzsysteme bei Routinet?tigkeiten entlastet, sodass mehr Zeit für T?tigkeiten bleibt, die soziale N?he und menschliche W?rme erfordern“, betont Thommes. 

Konkrete Definition von ?Roboter“ f?rdert die Akzeptanz

Schon immer war der Erfolg einer neuen Technologie ma?geblich von der Akzeptanz der Betroffenen abh?ngig. Doch wie offen sind Pflegebedürftige, Angeh?rige und die Fachkr?fte für Roboter? ?Der Einsatz von Robotik in der Pflege verursacht erst einmal ambivalente Gefühle bei allen Beteiligten“, berichtet Kirsten Thommes von ihren bisherigen Erfahrungen. Die Wissenschaftlerin betont, wie wichtig eine konkrete Definition des Begriffs ?Roboter“ in der Pflege sei, um ?ngste und Bedenken abzubauen: ?In einer europaweiten Umfrage kam beispielsweise heraus, dass Skandinavier beim Begriff ?Roboter“ als erstes an Industrieroboter denken, die in K?figen eingeschlossen werden müssen. Die erste Assoziation der Deutschen zum Stichwort ?Roboter“ war bezeichnenderweise der ?Terminator“. Weder auf einen Industrieroboter noch auf den Terminator m?chte man wohl treffen, wenn man pflegebedürftig ist. Wenn die beteiligten Akteure aber erfahren, dass es um robotisierte Assistenzsysteme geht, ist die Resonanz deutlich positiver als wenn wir abstrakt von einem Pflegeroboter sprechen, der erstmal ?ngste ausl?st.“

Die neue Technologie muss sich nach den Bedürfnissen der Menschen richten

Bei der Zusammenarbeit von Mensch und Roboter spielen die Themen Ethik, Datenschutz und Sicherheit eine gro?e Rolle. M?chte ich als Patient von einem Roboter überwacht und gewaschen werden? Soll mir als Pflegekraft ein Roboter auf die Finger schauen? Und kann ich den digitalen Assistenten selbst ausschalten oder nicht? Bedenken, die Kirsten Thommes und ihre Projektpartner gut kennen: ?Kameraüberwachung durch Roboter kann dazu führen, dass viel schneller Hilfe kommt, wenn der Pflegebedürftige in seiner Wohnung f?llt. Viele wollen aber keine Kameraüberwachung im Schlaf- oder Badezimmer – auch wenn da die Wahrscheinlichkeit am h?chsten ist, zu fallen. Bei der Dokumentation der Pflege ist es ?hnlich: Wenn ein Roboter diese Arbeit übernimmt, entlastet das die Pflegekraft enorm. Dazu muss der Roboter den Menschen aber überwachen, indem er filmt und jedes gesprochene Wort aufnimmt. Das ist ein erheblicher Eingriff in die individuelle Freiheit.“ Die Forscherin h?lt es daher für notwendig, dass sich die Robotik nach den Wünschen und Anforderungen der Menschen richtet: ?Es stellt sich immer die Frage, ob die Roboter passende Antworten auf die Bedürfnisse der Betroffenen finden. Unser Projekt erhebt daher explizit auch solche Wünsche, ?ngste und Informationsbedarfe.“

Wie kann es konkret aussehen, wenn sich die Technik den Wünschen der Betroffenen anpasst? ?Wenn beispielsweise ein Pflegebedürftiger Bedenken hat, seine Wohnung durch die Kamera eines Roboters überwachen zu lassen, k?nnte die Kamera so eingestellt werden, dass sie nur dann aktiv ist, wenn der Roboter eine Erschütterung – beispielsweise durch einen Sturz – aufzeichnet“, erkl?rt Thommes.  

Professioneller Umgang mit Robotern: In der Ausbildung f?ngt es an

Sollen Roboter erfolgreich eingesetzt werden und nicht zu einer zus?tzlichen Arbeitsbelastung für die Pflegekr?fte werden, müssen sie einfach und schnell zu bedienen sein. Thommes pl?diert daher dafür, den Umgang mit der neuen Technologie künftig in die Ausbildung zu integrieren: ?Das Berufsbild der Pflegekraft wird sich ver?ndern. In den ersten Eins?tzen von Pepper und Zora zeigte sich, dass die Pflegekr?fte in die Programmierung der Roboter eingebunden waren. Wie in allen von der Digitalisierung betroffenen Berufsgruppen wird sich der Ausbildungsinhalt dahingehend ver?ndern, dass die Fachkr?fte deutlich mehr technische Inhalte erlernen werden, um die Technologie kompetent nutzen zu k?nnen.“

Forschung zur Zusammenarbeit von Mensch und Maschine sollte ausgebaut werden

Kirsten Thommes glaubt nicht, dass Roboter den Menschen künftig gro?fl?chig vom Arbeitsmarkt verdr?ngen werden: ?Roboter werden unsere Arbeitsinhalte eher ver?ndern. Eine erste deutsche Untersuchung an der Universit?t Düsseldorf ergab, dass Roboter bislang in allen Industriezweigen zum Wegfall von Arbeitskr?ften führten, dieser Verlust aber über neue Arbeitspl?tze in wirtschaftsnahen Dienstleistungen komplett ausgeglichen wurde.“

Laut der Paderborner Wirtschaftswissenschaftlerin mangelt es aktuell vor allem an Forschung zur Zusammenarbeit von Mensch und Maschine: ?Heute sind die Maschinen sehr weit entwickelt und k?nnen echte Assistenten werden. Allerdings wird bislang kaum erforscht, wie sie sich in Teams einfügen und was maschinelle Partner mit der Zufriedenheit von Menschen am Arbeitsplatz machen. Wir müssen aber unbedingt verstehen, wann Assistenzsysteme als hilfreich und wann als st?rend empfunden werden, um ihr Potential aussch?pfen zu k?nnen. ?Orient“ soll dazu einen Beitrag leisten.“

Weitere Informationen zum Projekt ?Orient“ unter www.robotorientation.eu

Simon Ratmann, Stabsstelle Presse und Kommunikation

Foto (Universit?t Paderborn, Simon Ratmann): Forscht in mehreren Projekten zur Mensch-Maschine-Interaktion: Prof. Dr. Kirsten Thommes von der Fakult?t für Wirtschaftswissenschaften der Universit?t Paderborn.

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