6,7 Millionen Euro F?rderung – Universit?t Paderborn leitet europaweites Forschungsprojekt
Industrie 4.0 – eine industrielle Revolution, die neben Digitalisierung auch auf innovative Produktl?sungen angewiesen ist. Doch die Anforderungen an Fertigungsprozesse, Bauteile und Konstruktion steigen: ressourceneffizienter, schneller, langlebiger, effektiver, serientauglich, wettbewerbsf?hig und gleichzeitig kostengünstig, so der Anspruch. Gro?es Potenzial versprechen additive Fertigungsverfahren (engl.: Additive Manufacturing, kurz AM), h?ufig auch 3D-Druck genannt, mit denen sich h?chst komplexe Leichtbaukomponenten produzieren lassen. Die n?chste Entwicklungsstufe im Bereich des metallischen 3D-Drucks besteht in der Herstellung von Multimaterial-Bauteilen, bei denen zwei oder mehr Werkstoffe beliebig kombiniert werden k?nnen. Ein europaweites Forschungsteam, geleitet von der Universit?t Paderborn, will nun Industrieanwendungen für diese revolution?re Technologie entwickeln. Additive Fertigung aus mehreren Werkstoffen mit unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften soll die industriellen M?glichkeiten auf das n?chste Level heben. Ziel ist es, eine noch nie dagewesene Gestaltungsfreiheit für hochkomplexe (Leicht-)Bauteile zu erm?glichen. Dafür entwickelt das Projektteam innovative Multimaterial-Bauteile mit lokal zugeschnittenen mechanischen, elektrischen, thermischen und magnetischen Eigenschaften für Anwendungen in der Automobilindustrie, Luft- und Raumfahrt.
?MADE-3D“ (Multi-Material Design using 3D Printing) – so der Name des Projekts – wird für die n?chsten dreieinhalb Jahre mit rund 6,7 Millionen Euro im ?Horizon Europe 2022“-Programm der Europ?ischen Union gef?rdert. Das Konsortium, bestehend aus Forschungseinrichtungen, Marktführern der additiven Fertigung, Luft- und Raumfahrt, Automobiltechnik und Start-ups, bringt ein breites Spektrum internationaler Expertise mit: Projektpartner*innen sind neben der Universit?t Paderborn SLM Solutions, das Fraunhofer Institut für Gie?erei-, Composite- und Verarbeitungstechnik IGCV (alle drei aus Deutschland), die Universit?t der ?g?is (Griechenland), f3nice (Italien), Exponential Technologies (Lettland), QuesTek Europe (Schweden), AVL List (?sterreich), Skyrora (Gro?britannien), Safran Additive Manufacturing Campus, French Alternative Energies and Atomic Energy Commission CEA (beide aus Frankreich), Amires (Tschechien) und das Swiss Centre for Electronics and Microtechnology CSEM (Schweiz).
Das richtige Material an der richtigen Stelle
?Die Multimaterial-Fertigung durch 3D-Druck steckt derzeit noch in den Kinderschuhen. Die fehlenden Materialkombinationen sind die gr??te Herausforderung, die den Durchbruch dieser Technologie behindern. Durch ?MADE-3D‘ soll sie einen gro?en Sprung nach vorne machen“, betont Projektkoordinator Prof. Dr. Thomas Tr?ster, Leiter der Fachgruppe Leichtbau im Automobil (LiA) sowie Vorsitzender des Instituts für Leichtbau mit Hybridsystemen (ILH) und des Instituts für Additive Fertigung (PIAF) der Universit?t Paderborn.
Zwar lassen sich durch additive Fertigung Bauteile heutzutage fast grenzenlos individualisieren und verschiedene Funktionen in einem einzigen Druckprozess integrieren. Jedoch braucht es dafür geeignetes Material. Die bis dato verwendeten Werkstoffe genügen den vielschichtigen Anforderungen – etwa Biegsamkeit, Temperaturstabilit?t und magnetische Eigenschaften in einem Teil zu vereinen – aufgrund ihrer homogenen Materialeigenschaften allerdings nicht. Hinzu kommt, dass die Mehrheit der St?hle und Legierungen wegen Rissbildungen nicht gedruckt werden kann. Dieses Problem ist noch ausgepr?gter, wenn zwei oder mehr Materialien additiv miteinander verbunden werden sollen.
Hier setzt das internationale Expertenteam an. Gemeinsam wollen sie die Leistung von Multimaterial-Bauteilen bedeutend steigern sowie Gewicht erheblich verringern, um neue M?glichkeiten des Leichtbaus zu schaffen. ?Unser Ziel ist es, durch die Projektergebnisse eine erh?hte Prozesssicherheit und -geschwindigkeit in der additiven Multimaterial-Fertigung zu erreichen und damit diese innovative Technologie weiter zu industrialisieren“, betont Prof. Dr.-Ing. habil. Mirko Schaper, Inhaber Lehrstuhls für Werkstoffkunde (LWK) an der Universit?t Paderborn und Co-Leiter des Projekts.
Rechnerische Vorhersage der notwendigen Materialeigenschaften
Die Arbeit beginnt dabei noch vor dem Druck. ?3D-Druck-Materialien werden bisher nahezu vollkommen empirisch durch eine Vielzahl von Experimenten entwickelt. Das ist nicht nur kostspielig, sondern auch zeitintensiv“, erkl?rt Schaper. Daher setzt das Team auf ein systematisches computerbasiertes Materialdesign. Das Besondere: Für den jeweiligen Anwendungsfall werden die gewünschten Werkstoffeigenschaften in Abh?ngigkeit von der chemischen Zusammensetzung berechnet und vorausgesagt. Für jeden Multimaterial-Kandidaten wird dann innerhalb von zwei bis drei Iterationen eine Materialkombination erstellt, die als Blaupause für vielz?hlige weitere Applikationen dienen kann. Der Einsatz von maschinellem Lernen in der Prozessentwicklung soll zu kürzeren Entwicklungszyklen führen und die Digitalisierung der Prozesskette vorantreiben.
Der Weg vom Pulver zum Bauteil führt dann über zwei Technologien des additiven Fertigens. Durch Selektives Laserschmelzen (engl.: Laser Powder Bed Fusion, kurz L-PBF) und Laserauftragschwei?en (engl.: Direct Energy Deposition, kurz DED) werden die zerst?ubten Multimaterial-Kombinationen lokal und gezielt verteilt in 3D gedruckt, sodass hochqualitative Bauteile entstehen.
Anwendungen für die Automobil-, Luft- und Raumfahrtindustrie
Das Projektteam testet die innovativen Ans?tze in fünf Anwendungsf?llen im Bereich der Automobil-, Luft- und Raumfahrtindustrie. Dabei sind die Ziele klar definiert: Durch die Verarbeitung verschiedener Materialien soll das Gewicht einzelner Teile um bis zu 50 Prozent im Vergleich zu derzeit verwendeten Komponenten reduziert werden – durch Materialersatz (Verwendung leichterer Metalle) und deren Herstellung durch AM (d. h. weniger Materialverbrauch und Individualisierbarkeit der Funktionen). Ganz konkret arbeiten sie u. a. daran, Antriebssysteme in der Luftfahrt leichter zu gestalten, um sowohl Kosten zu sparen als auch einen gro?en Schritt in Richtung Nachhaltigkeit zu machen. Au?erdem wollen sie die Leistung von Elektromotoren durch den Einsatz von Materialkombinationen, die eine bessere Magnetplatzierung und Ausrichtung des magnetischen Flusses erm?glichen, optimieren. Die Projektergebnisse sollen sp?ter auf viele andere Sektoren, wie z. B. Gesundheit und Energie, übertragbar sein.
Nachhaltigkeit in der Produktion, Nutzung und beim Recycling
?Die Methode der additiven Fertigung erm?glicht erhebliche Energie- und Ressourceneinsparungen w?hrend der Produktion. Auch bei der Verwendung der Leichtbauteile, z. B. in Verkehrsmitteln, ist weniger Energie u. a. für die Beschleunigung erforderlich. Zudem testen wir verschiedene Verfahren im Hinblick auf die Trennungseffizienz der hybriden Bauteile, um Materialmischungen bestm?glich recyceln zu k?nnen. Durch unsere neuen Methoden sollen bis zu 99 Prozent des verwendeten Materials wiederaufbereitet werden k?nnen“, erkl?rt Tr?ster.
Erste Projektergebnisse werden in sechs Monaten erwartet.
Aus Paderborn sind die Fachgruppe Leichtbau im Automobil (LiA), der Lehrstuhl für Werkstoffkunde (LWK) und das Direct Manufacturing Research Center (DMRC) an ?MADE-3D“ beteiligt.