Seit über 50 Jahren f?rdert die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) langfristige Projekte in Form von Sonderforschungsbereichen (SFB). In diesen Programmen betreiben Wissenschaftler*innen f?cher- und hochschulübergreifend Grundlagenforschung, die für die antragstellenden Hochschulen schwerpunkt- und strukturbildend ist. An der Universit?t Paderborn werden aktuell vier Sonderforschungsbereiche geleitet. Welche Ziele die Wissenschaftler*innen darin verfolgen, wird in dieser Themenreihe vorgestellt.
Wirtschaftswissenschaftler*innen untersuchen die Auswirkungen steuerlicher Regulierung und der Regulierung von Unternehmensberichterstattung
Emp?rung über Bilanzskandale und Berichte darüber, dass bestimmte Konzerne nur geringe Steuern zahlen oder bewusst Steueroasen nutzen, beherrschen immer wieder die Schlagzeilen. Die Finanzkrise, der Leak der ?Paradise“ und ?Panama Papers“ sowie Diskussionen über Bilanzbetrug und Steuerfairness brachten die Themen Unternehmenstransparenz und Steuergerechtigkeit wieder international auf die Tagesordnung. Als Reaktion erlie? die Politik neue Gesetze und Berichtspflichten, die für mehr zug?ngliche Informationen sorgten. Die Wirtschaft st?hnt allerdings unter der Last von immer mehr Berichtspflichten und Bürokratie. Unklar ist, ob diese neuen Pflichten und der Druck der ?ffentlichkeit überhaupt dazu beitragen, dass Unternehmen transparenter werden und ob die regulatorischen Ma?nahmen einschlie?lich des Steuersystems handhabbar und wirksam sind. Dem gehen Wissenschaftler*innen in einem von der Universit?t Paderborn geleiteten Sonderforschungsbereich (SFB) zusammen mit der Humboldt-Universit?t zu Berlin, der Universit?t Mannheim und Forschenden von weiteren Universit?ten auf den Grund.
Der SFB ?TRR 266 Accounting for Transparency“ startete im Juli 2019 und wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft für zun?chst vier Jahre mit rund 12 Millionen Euro gef?rdert. Er ist der deutschlandweit erste Sonderforschungsbereich mit betriebswirtschaftlichem Schwerpunkt. In ihm forschen rund 80 Wissenschaftler*innen von acht deutschen Universit?ten. Neben den oben genannten Institutionen sind dies weitere Forschende der Ludwig-Maximilians-Universit?t München, der Goethe-Universit?t Frankfurt am Main, der Frankfurt School of Finance & Management, der WHU - Otto Beisheim School of Management sowie der European School of Management and Technology Berlin.
?In unserem SFB arbeiten wir in 23 Teilprojekten. Wir in Paderborn sind an 13 Projekten beteiligt. In zumeist standortübergreifenden Teams nehmen wir Regulierung, also Gesetze oder auch steuerliche und nichtsteuerliche Berichtspflichten und Rahmenbedingungen, sowie unterschiedliche Bereiche des Rechnungswesens wie das Berichtswesen oder das Controlling weltweit in den Blick. So wollen wir erforschen, inwiefern Regulierung Unternehmen dazu bringt, transparenter zu werden und welche Folgen die Regulierungsma?nahmen für Unternehmen haben“, erkl?rt Prof. Dr. Caren Sureth-Sloane. 360直播吧 ist Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Universit?t Paderborn und Sprecherin des Sonderforschungsbereiches. Letztlich solle die Forschung im Sonderforschungsbereich dazu beitragen, sinnvolle Regeln zur Unternehmenstransparenz und für ein transparenteres Steuersystem zu entwickeln und so auch das Vertrauen der Bürger in Wirtschaft und Politik st?rken, betont Sureth-Sloane.
Wirkung steuerlicher Regulierungsma?nahmen bislang unklar
Inwiefern jüngst eingeführte steuerliche Regulierungsma?nahmen der Politik Unternehmen zu mehr Transparenz verleiten, scheint in der Tat bislang unklar. So verpflichtet beispielsweise das EU-weit geltende und 2017 in Deutschland eingeführte ?Country-by-Country Reporting“ multinationale Konzerne, die in der Europ?ischen Union ihren Sitz oder eine Tochtergesellschaft haben, im Rahmen einer l?nderbezogenen Berichterstattung Ums?tze, Gewinne, Steuerzahlungen und weitere Daten an die jeweiligen Finanzbeh?rden zu übermitteln. Ob dieses Reporting aber der Grund dafür ist, dass – wie Studien zeigen – Unternehmen ihre Pr?senz in Steueroasen zuletzt verringerten, sei laut Sureth-Sloane noch v?llig unklar. M?glich w?re auch, dass die Unternehmen schlicht auf den medialen und ?ffentlichen Druck reagiert h?tten, so die Wissenschaftlerin. Erste Erkenntnisse aus einem Teilprojekt des Sonderforschungsbereichs zeigen aber schon jetzt: Den Kapitalmarkt scheint das ?Country-by-Country Reporting“ weitestgehend kalt zu lassen. ?Anleger, Kreditinstitute und Kapitalnehmer messen den zus?tzlichen ?ffentlichen Informationen über die steuerliche Situation eines Unternehmens, die im Rahmen des ?Public Country-by-Country Reportings‘ zur Verfügung gestellt werden, im Wesentlichen keinen Wert bei“, erl?utert Sureth-Sloane.
Unternehmenspanel soll Licht ins Dunkel bringen
Um erforschen zu k?nnen, ob und wie steuerliche Regulierungsma?nahmen der Politik tats?chlich zu mehr Unternehmenstransparenz führen, entsteht im Sonderforschungsbereich ein umfassendes Unternehmenspanel, das sogenannte ?German Business Panel“. Es soll der Forschung mittels Befragungsdaten die Bearbeitung bislang nicht m?glicher Forschungsvorhaben erm?glichen. ?Die Kollegen an der Universit?t Mannheim bauen dieses Panel auf. Mittels halbj?hrlicher Online-Befragungen, pers?nlicher Interviews und Paneldiskussionen wollen wir Experten in Unternehmen unterschiedlicher Gr??e, Branche und Rechtsform befragen. So k?nnen wir systematisch und repr?sentativ erheben, wie Unternehmen Fragen der Transparenz einsch?tzen, welche Folgen steuerliche Regulierung für sie hat und wie sie darauf reagieren“, erkl?rt Caren Sureth-Sloane.
Den Motiven für freiwillige Transparenz auf der Spur
Neben verpflichtenden Ma?nahmen wie dem ?Country-by-Country Reporting“ oder einer Vielzahl vom Gesetzgeber vorgeschriebener Angaben im Jahresabschluss k?nnen Konzerne auch durch freiwillige Zusatzinformationen wie etwa zu Fragen der Nachhaltigkeit Transparenz zeigen. Dafür interessieren sich die Wissenschaftler*innen im SFB ebenfalls: ?Wir wollen nicht nur untersuchen, wie sich verpflichtende Angaben auf Unternehmen auswirken, sondern auch erforschen, was Unternehmen dazu bringt, freiwillig zus?tzliche Informationen über sich preiszugeben. In diesem Zusammenhang werden wir auch analysieren, wie Informationen, die Unternehmen freiwillig bereitstellen, in einem Umfeld, das durch eine Flut von Informationen einschlie?lich Gerüchten und Fake News charakterisiert ist, wahrgenommen werden – und ob sie überhaupt zu einer Verbesserung der Transparenz beitragen k?nnen“, skizziert Sureth-Sloane den Forschungsansatz.
Internationaler Vergleich: Steuergesetzliche Vorschriften in Deutschland überdurchschnittlich komplex
In einem Teilprojekt des Sonderforschungsbereichs widmen sich die Forscher*innen speziell dem Thema Steuerkomplexit?t. Dabei k?nnen sie auf dem ?Steuer-Komplexit?ts-Index“ aufbauen, den Caren Sureth-Sloane und ihr Paderborner Kollege Thomas Hoppe zusammen mit Prof. Dr. Deborah Schanz und Susann Sturm von der Ludwig-Maximilians-Universit?t München entwickelt haben. Der Index, für dessen Ergebnisse sich bereits das deutsche und britische Finanzministerium und die OECD interessierten, wurde für eine Vielzahl von L?ndern entwickelt und erfasst die Komplexit?t der Gewinnsteuer-Systeme für multinationale Unternehmen in 100 Staaten.
?Der Index bietet einen einzigartigen Datensatz, mit dem wir analysieren k?nnen, wie sich ein Land im internationalen Wettbewerb hinsichtlich der Komplexit?t von steuergesetzlichen Vorschriften und steuerlichen Prozessen wie Steuererkl?rungen und Betriebsprüfungen positioniert“, führt Sureth-Sloane aus. Eine zentrale Erkenntnis für Deutschland: In Sachen komplexes Steuersystem liegt die Bundesrepublik im internationalen Vergleich im Mittelfeld. Dabei f?llt allerdings auf, dass einzelne steuergesetzliche Vorschriften im L?ndervergleich besonders komplex eingestuft werden. ?Zu nennen sind hier beispielsweise die Regelungen zu Verrechnungspreisen und zur sogenannten Hinzurechnungsbesteuerung. Hier sind es vor allem Dokumentationsanforderungen. Obwohl Deutschland hinsichtlich der steuerlichen Prozesse als unterdurchschnittlich komplex eingestuft wird, werden inkonsistente Entscheidungen im Betriebsprüfungsprozessen als Problemfeld identifiziert“, erkl?rt Sureth-Sloane. Verrechnungspreise sind diejenigen Preise, die zwischen verschiedenen Bereichen eines Unternehmens für innerbetrieblich ausgetauschte Waren und Dienstleistungen verrechnet werden. Die Hinzurechnungsbesteuerung bezeichnet die Besteuerung von Einkünften einer ausl?ndischen Tochtergesellschaft beim inl?ndischen Gesellschafter.
Wissenschaft, bei der jeder mitmachen kann
Im Sonderforschungsbereich forschen Sureth-Sloane und ihre Kolleg*innen nicht im stillen K?mmerlein – im Gegenteil. ?Wir leben Transparenz auch in der Forschung. Das bedeutet, dass wir einerseits die von uns gewonnenen Daten der ?ffentlichkeit zur Verfügung stellen werden und dass wir andererseits Methoden entwickeln, um unsere Forschung m?glichst transparent und reproduzierbar zu pr?sentieren“, betont Prof. Dr. Joachim Gassen, stellvertretender Sprecher des SFBs und Professor für Rechnungslegung und Wirtschaftsprüfung an der Humboldt-Universit?t zu Berlin. Dem sogenannten ?Open Science-Ansatz“ folgend sollen Forschende weltweit in die Lage versetzt werden, die Forschung des SFBs zu überprüfen, darauf aufzubauen und damit letztlich schneller zum Fortschritt beizutragen. Auch die ?ffentlichkeit, Stakeholder aus Politik und Wirtschaft werden regelm??ig über neue Erkenntnisse informiert. Dazu werden Pressemitteilungen und ?ffentliche Veranstaltungen, ein Newsletter und ein Blog, Social-Media-Auftritte sowie Ver?ffentlichungen in Praxiszeitschriften genutzt. Am 30. M?rz 2020 ist beispielsweise das erste Forum des TRR 266 ?Forschung im Dialog“ in München geplant – mit Experten aus Wissenschaft, Politik und Praxis wie Prof. Dr. h.c. Rudolf Mellinghoff, Pr?sident des Bundesfinanzhofs.
?Wir werden unsere Forschungsergebnisse für unterschiedliche Zielgruppen aufbereiten und erlebbar machen. Das alles geschieht im Sinne einer offenen Wissenschaft, bei der jeder mitdiskutieren kann – denn nur transparente Forschung kann Wirkung zeigen und die Entdeckung von Wissen beschleunigen“, fasst Caren Sureth-Sloane zusammen.
Weitere Informationen
Webseite des SFBs: accounting-for-transparency.de
Twitter-Kanal des SFBs: https://twitter.com/trr_accounting
Linkedin-Seite des SFBs: www.linkedin.com/company/trr-accounting
Xing-Seite des SFBs: www.xing.com/companies/trr266accountingfortransparency
Interaktive Webseite des Steuer-Komplexit?ts-Index: www.taxcomplexity.org
SFB-Forum ?Forschung im Dialog“: accounting-for-transparency.de/forum
Simon Ratmann, Stabsstelle Presse und Kommunikation