?Flug­rei­sen und SUV-K?u­fe sind trotz der Aus­wir­kun­gen auf den Kli­ma­wan­del auf ei­nem H?chst­stand“

Interview mit Prof. Dr. Kirsten Schlegel-Matthies zum Weltverbrauchertag

Kassenbon-Pflicht, Nutri-Score, teurere Flugtickets: 2020 bringt für Konsument*innen viele Ver?nderungen mit sich. Kontroverse Diskussionen gab es bereits im Vorfeld. Zuletzt hat der Skandal um mit Listerien verunreinigte Wurst den Verbraucherschutz als Top-Thema in die Medien und die Politik katapultiert. Zum Weltverbrauchertag am 15. M?rz beantwortet Prof. Dr. Kirsten Schlegel-Matthies, Expertin für Verbraucherforschung und -bildung an der Universit?t Paderborn, Fragen zu aktuellen Entwicklungen, Risiken und Herausforderungen durch das Internet.

Frau Schlegel-Matthies, welche Themen besch?ftigen Verbraucher*innen aktuell besonders?

Schlegel-Matthies: Derzeit verunsichert vor allem das 360直播吧 die Verbraucher*innen. Für viele ist unklar, wie sich das Virus z. B. auf geplante Urlaubsreisen auswirkt und welche Rechte Reisende haben. ?Sind meine Stornierungen kostenlos m?glich? Wann kann ich von der Reise zurücktreten? Bekomme ich mein Geld zurück, wenn mein Flug gestrichen wird?“ Diese und ?hnliche Fragen stellen sich Verbraucher*innen aktuell besonders h?ufig.

Abgesehen davon spielt im Verbraucheralltag das Internet eine gro?e Rolle: Cyberkriminalit?t, Abzocke mit Dating-Portalen im Netz, fehlende oder mangelhafte Beratung bei Telefon- und Internethotlines sind nur einige Problemfelder. Online warten mitunter viele Kostenfallen und Sicherheitslücken auf die Verbraucher*innen.

Was sind aktuelle Verbraucherthemen in der Politik?

Schlegel-Matthies: In der Politik geht es allgemein um Ph?nomene, die mit der zunehmenden Digitalisierung zu tun haben wie personalisierte Werbung, künstliche Intelligenz (KI) und automatisierte Entscheidungstechnologien (ADM). Ein konkretes gegenw?rtiges Thema ist das sogenannte ?Scoring“, bei dem z. B. der Staat das Verhalten von Menschen durch ?berwachung bewertet, um es zu honorieren oder zu bestrafen, wie es in China der Fall ist. Hier stellt sich grundlegend die Frage nach dem Schutz der Pers?nlichkeitsrechte.

Auf EU-Ebene sind neue Strategien für die Verbraucher*innen geplant. So soll die Umsetzung des Europ?ischen Green Deals beginnen, um bis 2050 klimaneutral zu werden. Auch die Einführung von einheitlichen EU-weiten Ladeger?ten für Handys und Tablets wird von der EU-Kommission vorbereitet.

Welche Ver?nderungen kommen 2020 auf die Verbraucher*innen zu?

Schlegel-Matthies: Seit Jahresbeginn gilt z. B. bundesweit für alle Eink?ufe eine Kassenbon-Pflicht. Wichtig für Verbraucher*innen ist aber: Der Bon muss nicht mitgenommen werden. Au?erdem hat die Bundesregierung Ma?nahmen zum Klimaschutz ergriffen: Verbraucher*innen k?nnen in diesem Jahr mit einem Aufschlag bei Flugtickets rechnen, gleichzeitig aber auch mit billigeren Bahntickets, durch Senkung der Mehrwertsteuer. Auch die EEG-Umlage, mit der der Ausbau von erneuerbaren Energien finanziert wird, steigt. Eine weitere Neuerung ist der freiwillige Nutri-Score bei Lebensmitteln. Dieser soll Verbraucher*innen mit einem Ampelsystem auf der Verpackung über die Menge an N?hrwerten des jeweiligen Produkts informieren. Darüber hinaus startet der Einbau intelligenter Stromz?hler, es wird strengere Grenzwerte für 33 krebserregende Substanzen bei Textilien geben und ab Mai ist der Verkauf mentholhaltiger Zigaretten verboten. All das sind nur einige ?nderungen, die in diesem Jahr auf die Verbraucher*innen zukommen.

Tausende Menschen gehen derzeit für den Klimaschutz auf die Stra?e. In Superm?rkten finden sich immer mehr vegane Produkte: Sind wir heute kritischere Konsument*innen?

Schlegel-Matthies: Man k?nnte das glauben, zumal in Befragungen deutlich wird, dass die Verbraucher*innen um die Probleme wissen. Das allt?gliche Handeln passt aber nicht zum Wissen. Flugreisen und SUV-K?ufe sind trotz der Auswirkungen auf den Klimawandel auf einem H?chststand. Auch Fleisch wird nicht weniger gegessen. Allerdings sind insgesamt die Gruppen, die tats?chlich etwas bewirken wollen, gr??er geworden. 360直播吧 machen aber eben nicht den Mainstream aus.

Heute macht die Digitalisierung das Konsumieren einfach: online shoppen, Filme streamen, im Internet Kredite aufnehmen – Gibt es dadurch andere oder verst?rkte Gefahren?

Schlegel-Matthies: Tats?chlich gibt es für Verbraucher*innen unz?hlige Beispiele für Risiken und Gefahren, mit denen sie durch das Internet konfrontiert werden. Bei personalisierter Werbung, individualisierten Preisen und Fakestores besteht die Gefahr, im Online-Handel leicht get?uscht und abgezockt zu werden. Probleme k?nnen aber auch durch den internationalen Handel entstehen, insbesondere bei unterschiedlichen rechtlichen Regelungen au?erhalb der EU.

Ein weiteres gro?es Thema ist der Datenschutz im Internet, z. B. im ?Smart Home“. Hier stellen sich u. a.  Fragen nach dem Speicherort der Daten und nach den Zugriffsrechten. Durch die Vernetzung von Informations- mit Unterhaltungselektronik oder Haushaltsger?ten steigt die Gefahr von Angriffen durch Cyber-Kriminelle.

Auch soziale Netzwerke stehen im Fokus: Hass- und Mobbingaktivit?ten sind dort leider keine Seltenheit. Zwar sind die sozialen Netzwerke verpflichtet, auf Beschwerden ihrer Nutzer*innen hin strafbare Inhalte zu sperren oder zu l?schen, doch die Anonymit?t im Netz machen Hetze und strafbare ?u?erungen auf diesen Plattformen einfach.

Hat sich demnach auch der Verbraucherschutz in Zeiten der Digitalisierung ver?ndert?

Schlegel-Matthies: Ja. Es sind z. B. zunehmend internationale, grenzüberschreitende Regelungen notwendig, da durch die Digitalisierung heute aus allen Teilen der Welt Konsumgüter bezogen werden. Das hat u. a. Auswirkungen auf Regelungen zur Produkt- und Qualit?tssicherheit, aber auch hinsichtlich sicherer Zahlungsm?glichkeiten, z. B. bei Onlineshops. In diesem Zusammenhang gewinnt auch der Datenschutz zunehmend an Bedeutung.

Grunds?tzlich sollte ein ordnungspolitischer Rahmen für die Auswirkungen der Digitalisierung geschaffen werden – der auch durch technische M?glichkeiten flankiert werden muss. Denkbar w?re es, rechtliche Regelungen zu beschlie?en und z. B. eine ?Ethik“ in Algorithmen einzubauen, die diese Regelungen dann auch berücksichtigt.

Sollten Verbraucher*innen also verst?rkt geschützt werden, beispielsweise durch gesetzliche Regelungen, oder sollten sie eher eigenverantwortlich handeln?

Schlegel-Matthies: Verbraucher*innen k?nnen angesichts der wachsenden Komplexit?t nicht immer und überall eigenverantwortlich handeln. In vielen Bereichen sind ordnungspolitische Ma?nahmen zwingend erforderlich. Man denke nur an den Skandal um Pferdefleisch in der Lasagne – so etwas k?nnen Verbraucher*innen gar nicht erkennen. Hier ist der Staat mit entsprechenden Lebensmittelkontrollen gefragt. Das gilt in vielen anderen F?llen ebenfalls. Verbraucher*innen k?nnen ihre Entscheidungen nicht immer selbstbestimmt und bestinformiert treffen. Jede Person ist in irgendeinem Bereich einmal ein/e ?verletzliche/r Verbraucher*in“, d. h., dass er oder sie beispielsweise aufgrund mangelnder Mittel oder Bildung, ein/e schw?chere/r und oftmals benachteiligte/r Marktteilnehmer*in ist.

Meinen 360直播吧, dass Verbraucher*innen heutzutage ausreichend informiert sind und ihre Rechte kennen? Oder bedarf es verst?rkter Bildung?

Schlegel-Matthies: Es bedarf unbedingt und verst?rkt der Verbraucherbildung. An der Universit?t Paderborn bilden wir am Institut für Ern?hrung, Konsum und Gesundheit Lehrpersonen für die Verbraucherbildung aus. Leider ist Verbraucherbildung nicht in allen Schulformen verpflichtend angesiedelt. Für eine selbstbestimmte Lebensführung in der digitalisierten Welt ist diese allerdings dringend erforderlich. Nicht nur, um eigenverantwortlich handeln zu k?nnen, sondern auch, um zu wissen, an wen man sich bei Problemen wenden kann. Das f?ngt bei banalen Fragen wie der Reklamation von Konsumgütern an und endet noch lange nicht bei fehlenden Hinweisen auf Widerrufsfristen bei Onlineportalen. Auch das Wissen über nachhaltig erzeugte Produkte sollte gef?rdert werden, ebenso wie das Verst?ndnis davon, welche Folgen die Lebensweise unserer Gesellschaft für die Umwelt, den Ressourcenverbrauch und die Mitmenschen hat – hier und in anderen Teilen der Welt.

Interview: Jennifer Strube, Stabsstelle Presse und Kommunikation

Foto (Besim Mazhiqi): Prof. Dr. Kirsten Schlegel-Matthies ist Professorin für Haushaltswissenschaft am Institut für Ern?hrung, Konsum und Gesundheit der Universit?t Paderborn und Expertin für Verbraucherforschung und -bildung.

Kontakt

business-card image

Prof. Dr. Kirsten Schlegel-Matthies

Fachdidaktik Hauswirtschaft (Konsum, Ern?hrung, Gesundheit)

Fachdidaktik Hauswirtschaft (Ern?hrung, Konsum, Gesundheit)

E-Mail schreiben +49 5251 60-2187